Kurz vor der Sommerpause trafen der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz und der britische Premierminister Keir Starmer in der vergangenen Woche zur Unterzeichnung eines Vertrags zusammen, der nach dem Unterzeichnungsort als der Kensington-Vertrag bezeichnet wird.
Seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr verspricht Premierminister Keir Starmer den Briten einen „Reset“, in dessen Zentrum auch die Verteidigungszusammenarbeit mit Europa steht. Downing Street sucht hierzu die enge Beziehung zu Frankreich und Deutschland. Man könnte von der Begründung einer „Dreiecksallianz“ sprechen. Auch im Kensington-Vertrag wurde festgehalten, die trilaterale Zusammenarbeit mit Frankreich solle weiter intensiviert werden.
Inhaltlich knüpft der Vertrag an das Trinity-House-Agreement aus dem Oktober 2024 an. Bereits damals wurde eine Intensivierung der Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigungspolitik vereinbart.
Der Vertrag wurde von den Beteiligten rasch als historisch bezeichnet. Insbesondere die politische Symbolik der Formulierung gemeinsamer Positionen angesichts der aktuellen Herausforderungen für die euro-atlantische Sicherheit sowie des Angriffskriegs der Russischen Föderation gegen den europäischen Kontinent sind nicht zu unterschätzen.
Als wohl prominentestes Merkmal des Vertrages gilt die Bestätigung der NATO-Beistandsregelung. Nach Artikel 5 des NATO-Vertrags betrachten die Mitgliedsstaaten einen Angriff gegen ein Mitglied als Angriff gegen alle. Der neue Verweis auf diese Regelung erweitert die rechtliche Bindung der Länder nicht, stellt jedoch eine symbolische Bekräftigung des gegenseitigen Beistands dar.
Daneben enthalten der Vertrag sowie der zugehörige Aktionsplan, 17 konkreten Leuchtturmprojekten zur zukünftigen Zusammenarbeit der beiden Länder.
Durch den gesamten Vertrag zieht sich als roter Faden, dass regelmäßige Ministertreffen und behördliche Dialoge stattfinden sollen, um eine kontinuierliche Abstimmung zwischen Großbritannien und Deutschland auf politischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Ebene sicherzustellen.
Verteidigung, innere Sicherheit und Migration
Beide Länder verpflichten sich zu einer engen sicherheits- und außenpolitischen Zusammenarbeit, die alle Dimensionen (Luft, Land, See, Weltraum und Cyber) umfassen soll. Der Vertrag warnt ausdrücklich vor hybriden Bedrohungen und ausländischer Einflussnahmen, die darauf abzielen, die nationale Sicherheit und demokratische Werte zu untergraben.
Großbritannien und Deutschland wollen ihre Resilienz stärken, um solche Gefahren frühzeitig zu erkennen und auf diese wirksam reagieren zu können. Dazu sollen Kooperationen in der Cyberdiplomatie, Cybersicherheit und bei neuen Technologien aufgesetzt werden. Auch im Bereich der Nachrichtendienste und der nationalen Sicherheitsfähigkeiten sollen Kooperationen vertieft werden.
Durch den beidseitigen Aufbau glaubwürdiger, widerstandsfähiger Verteidigungskräfte soll das gemeinsame Ziel der euro-atlantischen Sicherheit und der Abschreckung potenzieller Angreifer gewährleistet werden. Dazu werden Projekte im Bereich Deep Precision Strike, unbemannte Flugsysteme, eine strategische Partnerschaft zur Stärkung der Ostflanke sowie gemeinsame Unterwasseroperationen in der Nordsee definiert.
Im Bereich der inneren Sicherheit soll die Zusammenarbeit vor allem auf die Bekämpfung grenzüberschreitender schwerer und organisierter Kriminalität sowie illegaler Migration ausgerichtet sein. Deutschland verpflichtet sich, Regelungen zu schaffen, nach denen die Unterstützung illegaler Migration ins Vereinigte Königreich unter Strafe gestellt wird.
Konkret verpflichten sich die Länder zur Unterstützung der Ukraine beim Wiederaufbau und zur Stärkung ihrer Widerstandsfähigkeit.
Ein weiteres Projekt sieht Maßnahmen zur Stabilisierung des Westbalkans sowie zur Zusammenarbeit im indopazifischen Raum vor. Zudem sollen Kooperationen in der Rüstungsindustrie und der Export entsprechender Güter gefördert werden.
Wirtschaftliche Zusammenarbeit, Klima und Energie
Das Fokus im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit liegt auf Bereichen, die die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit beider unterzeichnenden Nationen sichern sollen. Dabei sollen die Potentiale der grünen und digitalen Transformation ausgeschöpft werden.
Im Zuge der Dekarbonisierung des Verkehrs ist eine Direktverbindung im Schienenpersonenfernverkehr geplant.
Im Rahmen einer Zusammenarbeit in der Nordsee, wollen die unterzeichnenden Länder eine gemeinsame, starke Energieinfrastruktur errichten. Hierzu soll bis 2035 die Entwicklung von Offshore-Hybrid-Interkonnektoren vorangetrieben werden, um Offshore-Einrichtungen und die nationalen Netze effektiver miteinander zu verknüpfen. Außerdem soll gemeinsam an der Entwicklung von Wasserstoff- und CO₂-Infrastrukturen gearbeitet werden.
Durch eine strategische Partnerschaft im Bereich Wissenschaft und Technologie, wollen sich beide Nationen zu einer gemeinsamen Entwicklung von Spitzentechnologien zusammenschließen. Hierzu werden die Bereiche der Quantentechnologe, künstlicher Intelligenz, digitaler Technologien, Halbleiter, Raumfahrt, erweiterte Konnektivität, Fusionen und nachhaltige Energielösungen einschließlich Batterietechnologien, benannt. Durch die gemeinsame Forschung an diesen Technologien, soll ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum beider Länder gefördert werden und die deutsch-britische Innovationsführungsrolle aktiv vorangetrieben werden.
Ein neu geschaffenes Forum für den Austausch britischer und deutscher Unternehmen soll den grenzüberschreitenden Handel fördern.
Zusätzlich sollen durch Kooperationen zwischen den deutschen und britischen öffentlichen Finanzinstitutionen grenzüberschreitende Investitionen erleichtert werden. So sollen Investitionsprozesse beschleunigt und gefördert werden, damit das Wachstum beider Volkswirtschaften angekurbelt wird. Hierzu soll eine Zusammenarbeit und Verbindungen zwischen der British Business Bank, dem National Wealth Fund und der KfW gestärkt und gefördert werden. Dazu soll insbesondere ein intensiver Wissensaustausch erfolgen, die operativen und finanziellen Leistungen verbessert werden und die für beide Nationen interessanten Investitionsmöglichkeiten gefördert werden.
Bürgerbezogene Regelungen
Das Ziel hierzu ist der Aufbau resilienter Gesellschaften und damit starker Demokratien. Auch der kulturelle und bildungspolitische Austausch soll intensiviert werden, um die nach dem Brexit deutlich zurückgegangenen Kontakte zwischen den Bürgern beider Nationen wieder zu stärken.
Künftig soll deutschen Schulgruppen die Einreise nach Großbritannien erleichtert werden, durch die Vorlage zusammenfassender Namenslisten durch die begleitenden Lehrkräfte. Britischen Staatsangehörigen soll an deutschen Flughäfen eine beschleunigte Abfertigung ermöglicht werden.
Im Bereich der beruflichen und universitären Bildung streben beide Länder die Schaffung und Prüfung rechtliche Rahmenbedingungen an, um einen besseren Austausch zu fördern.
Fazit und Ausblick
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Vertrag mehr als nur ein Symbol des Zusammenrückens von Deutschland und Großbritannien ist. Auf Grundlage der konkret definierten Leuchtturmprojekte, schafft der Vertrag eine politische Verbindlichkeit und feste Strukturen, die einen neuartigen Grundstein für eine moderne Partnerschaft zwischen beiden Nationen bilden. Politisch steht nun die Ratifizierung des Vertrags durch beide Parlamente an.
Für Unternehmen auf beiden Seiten des Kanals stellt der Vertrag eine positive Nachricht dar, die mit zum Teil bedeutenden Geschäftschancen verbunden ist.
Dies dürfte auch in erhöhtem rechtlichen Beratungsbedarf resultieren, insbesondere mit Joint Ventures zwischen Unternehmen aus der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sowie der Technologiebranche sowie der vermehrten Teilnahme britischer Unternehmen an deutschen Vergabeverfahren in den zukunftsweisenden Industriefeldern zu rechnen sein.
Aber auch im Bereich der stattlichen und bilateralen Zusammenarbeit dürfte eine sich vertiefenden Zusammenarbeit und weitere Abkommen zu erwarten sein.
Ein Rücktritt vom Brexit steht für die britische Regierung aber weiterhin nicht auf der Agenda.
Verfasserin: Julia Mählich, Referendarin